Schlucken oder Spucken?
Ein Dauerbrenner ist die Debatte darüber, ob man einen Wein besser beurteilen kann wenn man ihn schluckt. Auf jeden Fall schlucken sagen die Einen, das erhöht die Aromendichte in der Wahrnehmung und hilft den Wein besser zu erkennen und im Gedächtnis abzuspeichern. Die Anderen widersprechen vehement: Mit der Zunge lassen sich die Grundgeschmacksarten problemlos erkennen und der kleine Rest der nach dem Ausspucken im Mund verbleibt, reicht aus, die (am Zungengrund verstärkt wahrnehmbaren) Bittertöne zu beurteilen. Ausserdem kann man viel mehr Proben konzentriert und sachlich verkosten, bevor der Alkohol Wirkung zu zeigen beginnt.
Und wer hat nun recht?
Ich würde sagen sowohl als auch. Während der jährlichen Verkostung der Primeurs in Bordeaux, wenn die Säure der Fassmuster im Mund brennt und die agressiven Tannine die Schleimhäute austrocknen, käme ich nie in die Versuchung, das Zeugs auch noch runterzuschlucken. Gibt es bei einem Besuch im Weingut mehr oder weniger trinkfertige Weine zu verkosten, brauche ich einen klaren Kopf, um auch noch den letzten Wein sachlich und korrekt beurteilen zu können. Auch dann scheidet Schlucken (zumindest im ersten Durchgang) aus. Was mich natürlich nicht daran hindert, nach Ende des “offiziellen” Teils mit einem Gläschen aus einer besonders guten Flasche den Eindruck zu vertiefen. Gute und gereifte Weine auszuspucken wäre Frevel, es bestellt ja auch niemand ein Steak nur um einen Bissen zu nehmen und den dann auszuspucken. Natürlich spüre ich dann schon bald den Alkohol, aber auch dafür gibt es eine einfache Lösung: rechtzeitig aufhören und den Rest der Proben am nächsten Tag verkosten.